Das Spiel- und Sportverhaltens von Kindern und Jugendlichen - Der Forschungsstand


In diesem Post wollen wir uns mit der Entwicklung physischer, mentaler und sozialer Fähigkeiten bei Kindern und Jugendlichen auseinandersetzen. Hier wollen wir zuerst umreißen, wie die natürlichen Entwicklungsschritte in verschiedenen Altersstufen aussehen und im Anschluss evaluieren, welche Indikatoren und disruptiven Ereignisse auf diese Entwicklungsphase Einfluss nehmen.

Ziel ist es, daraufhin beurteilen zu können, wie man Negativtrends unterbinden und die Entwicklung von Fähigkeiten gezielt fördern kann.

Signifikante Defizite von Kindern heutzutage

Im vorangegangenen Beitrag haben wir uns die verschiedenen Entwicklungsbereiche eines Kindes angeschaut und sind auf die Entwicklungsstufen der ersten sechs Lebensjahre eingegangen. Dass es hier allerdings eine große Diskrepanzen zwischen theoretischen Richtlinien und praktischer Umsetzung gibt, deckt ein erschreckender Artikel von Jörg Zittlau auf, der sich auf eine Umfrage des niederländischen Unternehmens AVG bezieht. Es wurden 2200 europäische Mütter mit Web-Zugang und Kindern im Alter von zwei bis fünf Jahren befragt. Die erschreckendsten Ergebnisse haben wir aufgezeigt (für den ganzen Artikel, siehe Link unten):















@ welt.de


Motorische Defizite

Die deutschen Erziehungswissenschaftler Friedhelm Schilling und Ernst Kiphard entwickelten Anfang der 70er einen Test, mit dem noch heute die Körperkoordination von Kindern und Jugendlichen gemessen wird. Er besteht aus relativ einfachen Übungen zu Grob- wie Feinmotorik,  Rückwärtsgehen und seitlichem Hin- und Her-Hüpfen beispielsweise. Sie legten Normwerte für den Test fest, um die Ergebnisse vergleichen zu können. Der Negativtrend ist gravierend. Während in den 70ern die Mindestvorgaben noch recht häufig erfüllt wurden, blieben schon Anfang der Neunziger fast 30 Prozent der deutschen Grundschüler in ihrer Koordinationsfähigkeit unter der Norm. Zur Jahrtausendwende waren es mehr als die Hälfte.

Weitere Studienergebnisse zeigen, dass die motorischen Fähigkeiten heutiger Kindern um etwa zehn Prozent schlechter sind im Vergleich zu Gleichaltrigen vor 40 Jahren. In den vergangenen Jahren hat sich zwar eine Verbesserung der Motorik angedeutet, was sich ab 2014 allerdings nicht mehr fortsetzte. Die motorischen Fähigkeiten sind auf einem niedrigen Niveau stagniert.

Individuelle, interpersonelle und umgebungsbezogene Abhängigkeiten 

Im Kontext der @ KIGGS Studie veröffentlichte das Robert-Koch Institut im Journal of Health Monitoring einen Artikel, der Abhängigkeiten von Sportverhalten bei Kindern und Jugendlichen evaluiert. Dies wird aufgeteilt in individuelle, interpersonelle und umgebungsbezogene Einflussfaktoren.

Als individuell signifikante Faktoren werden das Geschlecht, das Alter und der Bildungsstand aufgeführt. Hierbei treiben Mädchen, was Menge und Dauer angeht deutlich weniger Sport als gleichaltrige Jungen. Dabei treiben Mädchen mit hohem Bildungsstand durchschnittlich mehr Sport, also solche mit geringem Bildungsstand. Dabei ist der Unterschied zwischen den beiden Geschlechtern in den letzten Jahren größer geworden, ähnlich wie die Diskrepanz zwischen Mädchen mit hohem und niedrigem Bildungsstand zugenommen hat. Körperliche Vorraussetzungen, wie eine bereits bestehende Übergewichtigkeit haben ebenfalls einen negativen Einfluss auf das Sportverhalten. Normal- und Untergewichtige bewegen sich deutlich mehr. Außerdem zeigen Langzeitanalysen, dass aus übergewichtigen Kindern in 70 Prozent der Fälle auch übergewichtige Erwachsene werden.

Nicht der Bewegungsmangel macht dick, sondern umgekehrt macht Übergewicht - in Deutschland ist ungefähr jedes sechste Kind davon betroffen - so träge, dass der Bewegungsradius immer kleiner wird.

@ welt.de


Eine höhere Altersgruppe, 11-17 Jährige, treiben häufiger Sport als Kinder in der Altergruppe 3-10 Jahre. Dieser Fakt könnte ein wichtiges Indiz für unsere Arbeit sein, das darauf hindeutet, dass man Jugendliche durch Schulsport zum Sport in der Freizeit motivieren kann.

Ein ganz klarer interpersoneller Faktor besteht im Sportverhalten der Eltern als Vorbildfunktion. Sind die Eltern sportlich aktiv, sind die Kinder ebenfalls signifikant stärker aktiv.

Mädchen und Jungen, deren Mütter oder Väter mindestens eine Stunde wöchentlich Sport treiben, haben eine doppelt so hohe Chance, selbst Sport zu treiben als Mädchen und Jungen, deren Mütter oder Väter weniger als eine Stunde pro Woche Sport treiben.

@ Journal of Health Monitoring


Als umgebungsbezogener Faktor wird ein positiver Zusammenhang zwischen einer gut erreichbaren Sportstätte, eines Spielplatzes, oder einer Grünanlage herausgestellt.

Freizeitgestaltung der Kinder heute

Konträr zum Negativtrend motorischer Fähigkeiten, wachsen die Fähigkeiten rund um digitale Prozesse, wie das Bedienen eines Computers, oder Smartphones. Die Aneignung solcher Fähigkeiten, passiert oftmals schon in dasselbe Alter wie das Erlernen von Laufen. Das Spielen und Bewegen darußen, hat sich nach Innen verlagert, wo viele Freizeitgestaltungen mit körperlicher Inaktivität verbunden sind. Die folgende @ Statistik zeigt eine aktuelle Umfrage zu den Inhalten der Freizeitgestaltung bei Kindern und Jugendlichen. Dabei wird unterschieden zwischen täglicher und regelmäßiger Aktivität. Ganz oben, mit sehr hohem täglichen Anteil stehen Fernsehen, Nutzung von Smartphones, Musik hören, drinnen spielen und Freunde treffen. Auch nicht zu verachten, an zweiter Stelle stehen die Hausaufgaben. Auffällig ist, dass jede eben genannte Freizeitgestaltung körperliche Inaktivitätzeit bedeutet (lediglich bei Freunde treffen, kann man dies so nicht pauschalisieren).






Zu viele Inaktivitätzeiten im Alltag

Im Zuge der Digitalisierung und globalen Vernetzung etablierten sich viele Freizeitgestaltungen, die in einem inaktiven Zustand ausgeführt werden. Dazu kommt die inaktive Fortbewegung, da Eltern ihre Kinder heutzutage viel mehr mit dem Auto fahren, als dass die Kinder mit dem Fahrrad fahren, oder zu Fuß gehen.
Doch ebenso kritisch beobachten wir die immense Inaktivitätzeit durch Schule und Hausaufgaben. Besonders durch G8 und die Zunahme von Ganztagsschulen wird der Sitzanteil im Alltag größer und die Freizeit, in der man sich bewegen könnte, kleiner. Man muss hier ganz klar herausstellen, dass das Zeitbudget eine ganz signifikante Rolle bei der Menge an Aktivitätszeit spielt.
Wie in früheren Posts behandelt, gibt es nun aber nachweislich eine Kohärenz zwischen mentaler Leistungensfähigkeit und körperlicher Bewegung. Während diese Erkenntnis für den Berufsalltag in die Gestaltung moderner Bürokonzepte schon mehrere Jahre eine große Rolle spielt, stellt sich uns die Frage, warum man solche Konzepte nicht auch auf den Schulunterricht transferiert. Dabei spielt natürlich der Schulsport als Auszeit für körperliche Bewegung eine ganz wichtige Rolle, aber gleichzeitig sollte man sich auch Gedanken um die Räumlichkeiten und Arbeitsweisen Gedanken machen, da gerade das lange und viele Sitzen kontraproduktiv ist. Ebenso im Hinblick auf die Gestaltung der Pausenräume, Schulhöfe etc. ergeben sich Potentiale, den Kindern Lust auf Bewegung zu machen. Dies zeigt neben der Problematik des Zeitbudgets auch einen geografische Aspekt auf.

Immer weniger Spiel- und Bewegungsräume


Der geografische Raum zum Spielen ist nämlich auch ein ganz signifikanter Aspekt, der die Menge an Bewegung stark beeinflussen kann. Hierbei geht es um Umfelder, in denen sich Kinder gefahrlos und mit ausreichend Platz frei und unorganisiert bewegen können. Dazu gehören Grünanlagen, Spielplätze, Parks und trifft so vor allem Kinder, die in einem urbanen Umfeld aufwachsen, ohne Zugang zu einer solchen Spielstätte. Doch auch generell gibt es mittlerweile einen Misstand an adäquaten öffentlichen Spielstätten.






Diese Tatsache ist vor allem interessant im Zusammenhang mit der folgenden Aussage vom Stoffwechselmediziner Philippe Beissner.

Fraglich ist jedoch, ob der Sport, etwa im Verein, der Königsweg zu mehr Bewegung ist. Denn ein bis zwei zusätzliche Sporteinheiten pro Woche können das tägliche spielerische Tollen nicht aufwiegen. Der Züricher Stoffwechselmediziner Philippe Beissner hält es daher für wichtiger, die Kinder unorganisiert im Freien spielen zu lassen, als ihnen noch weitere Termine in den Zeitplan hineinzudrücken.

@ Jörg Zittlau


Hier wird herausgestellt, dass im besonderen das freie, unorganisierte Spielen  extrem wertvoll ist, da es hier eben nicht nur um das konkrete Treiben von Sport zu einem bestimmten Zweck geht, sondern um das Fördern einer aktiven Freizeitgestaltung, die rein den Spaß und die Interaktion mit anderen in den Fokus rückt. Verpflichtungen, Leistungsdruck, oder sonstige Erwartungshaltungen sind in diesem Kontext kontraproduktiv und könnten eine Abwehrhaltung hervorrufen. Außerdem sollte der Sport, wir im Abschnitt oben gesagt, die Freizeit eben nicht noch mehr einschränken, sondern vielmehr ein Teil davon werden.

Der organisierte Sport kann den Bewegungsmangel im Alltag nicht ausgleichen


Dieses freie, unorganisierte Spielen wird in einem anderen Artikel ebenfalls als einen ganz entscheidenden Teil der Kindheit genannt und dass man dessen mentalen Wert in keinstem Fall unterschätzen darf.

Ich habe mich in die wissenschaftliche Literatur vertieft und festgestellt, dass Kinder heutzutage deutlich ängstlicher, depressiver und neurotischer sind als noch vor drei, vier Jahrzehnten. [...] Aber es gibt drei wichtige Faktoren, die sich in unserer Gesellschaft in den letzten drei, vier Jahrzehnten geändert haben und in Laborstudien mit Angst, Depression und Aufmerksamkeitsdefiziten in Verbindung gebracht werden:
Erstens das Verschwinden der Kindheit. Damit meine ich freies, unkontrolliertes Spielen. Zweitens die starke Präsenz von Medien und Technologie und die allgegenwärtige Präsenz von Bildschirmen im Leben unserer Kinder. Und drittens: Kinder sind heutzutage „arbeitslos“: Sie haben keine Rolle im Haushalt. Früher haben sie sich zum Beispiel um jüngere Geschwister gekümmert oder hatten nach der Schule einen Job. [...] Heute ist die Kindheit sehr stark auf individuelle Talente und Erfolge fokussiert. Das kann wunderbar sein, aber auch ziemlich narzisstisch.

@ Interview von Theresa Bäuerlein


In diesem Zitat wird ein weiterer Aspekt angerissen, der sich auf das heutige Spiel- und Sportverhalten der Kinder auswirkt. Die Diskrepanz zwischen einer sportlichen Betätigung, die auf Leistung ausgerichtet ist und der Förderung individueller Talente unterliegt und Sport als Spielsport, als aktive Freizeitgestaltung.

Die Kluft zwischen Leistunsgssport und Breitensport


80 % der Kinder benennen sportliche Akitivitäten als Hobby, dabei sind die beliebtesten Freizeitsportarten  Radfahren (29 %), Schwimmen (28 %) und Fußballspielen (18%). Wobei bei Radfahren und vor allem bei Fußballspielen die geschlechterspezifischen Unterschiede enorm sind. Beim Fußball beispielsweise sind es 36,5 % bei den Jungen und lediglich 1,7 % bei den Mädchen.
Bei der Untersuchung der sportlichen Engagements bei Kindern haben sich fünf Cluster herausgebildet:






Diese Clusterung beschreibt ein Phänomen, welches sich zunhemend verstärkt. Drei der fünf Cluster, was immerhin 63 % der Kinder ausmacht, betreiben wenig bis gar kein Sport in ihrer Freizeit. Von den verbleibenden 37 % treiben 17 % leistungsorienterten Sport in Vereinen.
Die Diskrepanz der sportlichen Fähigkeiten bei diesen zwei Gruppen prägt sich immer deutlicher aus. Die sportive Mitte bilden lediglich 20 % der Kinder.



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